Die Fachpersonen auf dem Podium, die sich pädagogisch, wissenschaftlich und politisch seit vielen Jahren mit Kindern mit Migrations- und Fluchterfahrung beschäftigen, argumentierten für einen zügigen Übertritt in die öffentliche Schule: Kinder lernen schneller Deutsch, wenn sie nicht nur mit der Lehrperson, sondern auch mit deutschsprachigen Gleichaltrigen und Erwachsenen sprechen. Ebenso wichtig ist das Umfeld der öffentlichen Schule für das Zurechtfinden in der neuen Lebenswelt. Nationalrätin Sandra Locher Benguerel verdeutlichte, dass dieser Zugang zu Bildung perspektivisch die Basis legt für ein eigenständiges und unabhängiges Leben. Migrationsexperte Markus Truninger betonte, dass das Recht auf Bildung ein Grundrecht darstellt, das ebenso wie das Verbot von Diskriminierung in der Verfassung verankert ist. Er zeigte auf, dass nichtdeutschsprachige Kinder, die sich mit ihren Eltern in Graubünden niederlassen, direkt in die öffentliche Schule gehen und dort beim Deutschlernen unterstützt werden. Er wies darauf hin, dass diese Praxis für geflüchtete Kinder in Transitzentren nicht zu gelten scheine und dass eine solche Ungleichbehandlung rechtlich nicht zulässig ist. Prof. Dr. Andrea Lanfranchi, Institutsleiter an der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik, betonte die absolute Sonderstellung, die Graubünden mit der zögerlichen Einschulung in der Schweiz einnimmt. Überall sonst erfolge die Aufnahme in die Regelstrukturen direkt, parallel oder nach maximal einem Jahr.
Einen Einblick in die Situation aus der Sicht einer Mutter gab Herdem Sara: Es gibt im Heim wenig privaten Raum und Ruhe, um sich zu entfalten die Klassenzusammensetzung ändert sich häufig, da Familien oft in andere Heime verlegt werden. Auch Fachhochschuldozentin Bettina Looser, wies darauf hin, dass die Heimstrukturen, auch wenn sie gut geführt werden, etwas mit den Kindern machen, indem sie jeden Tag spüren: Ich gehöre nicht dazu, ich bin anders – was das Gegenteil von Integration darstellt. Der Besuch einer öffentlichen Schule hingegen, so die Fachleute, biete Stabilität, die jedes Kind, und ganz besonders Kinder mit der zutiefst verunsichernden Erfahrung einer Flucht, zum gesunden Aufwachsen benötigen.
Georg Carl, Leiter der Abteilung Asyl und Rückkehr beim Amt für Migration, führte einige historische Fakten an, die zur Entwicklung der aktuellen Handhabung beitrugen. Er erklärte, dass die Zentrumsschulen ebenfalls Volksschulen seien, in denen der Lehrplan 21 umgesetzt werde. Gemeinsam mit der Schulleiterin der Bündner Heimschulen Rita Reinhardt betonte er, dass sich die Lehrpersonen in den Heimschulen mit grossem Einsatz und Herz für die Kinder engagierten, worin sie sich mit dem gesamten Podium einig waren.
Die Diskussion zeigte, dass sich die Kritik an der Bündner Einschulungspraxis nicht um das Engagement der Lehrpersonen dreht, sondern darum, dass der Integrationsweg und die individuelle Entwicklungsmöglichkeit der betroffenen Kinder durch strukturelle Rahmenbedingungen verschleppt wird und ihnen damit das Recht auf Normalität, wie es ein Votum aus dem Publikum benannte, verwehrt wird.
Die Frage, woran oder an wem es liegt, dass so wenige Kinder aus der Heimschule in die Davoser Regelschule übertreten, blieb schlussendlich offen. Auch offen blieb, weshalb vor dem Hintergrund der vielen fachlichen und rechtlichen Argumente ein schnellerer Übertritt geflüchteter Kinder aus den Kollektivunterkünften in die öffentliche Volksschule in Graubünden nicht speditiv umgesetzt wird.
Die IG offenes Davos hofft, durch diese Veranstaltung vor allem den Handlungsträgern die Problematik noch einmal vor Augen führen zu können. Die zahlreichen Gäste zeigten durch ihre Präsenz, dass viele eine faire und solidarische Gesellschaft mittragen möchten, in der Chancengerechtigkeit bei der Bildung und Vielfalt eine wichtige Ressource für die Zukunft darstellen.
Der Anlass ist auf youtube aufgezeichnet.
Unterschreib auch Du: https://bildung-jetzt.ch/