Geflüchtete Kinder und Jugendliche gehören zu den verletzlichsten Personen in unserer Gesellschaft. Sie sind in der Schweiz nicht nur von den Folgen von Krieg, Verfolgung, Flucht, Armut und gesellschaftlicher Ausgrenzung betroffen, sondern haben insgesamt eingeschränkte Bildungschancen. Viele Lehrpersonen und Freiwillige zeigen ein grosses Engagement für die Integration geflüchteter Kinder. Leider fehlt aber oft der politische Wille, Investitionen zu tätigen und die Bildungsstrukturen an die Bedürfnisse der geflüchteten Kinder und ihrer Lehrpersonen abzustimmen.
Dabei spielt gerade die Volksschule eine entscheidende Rolle für die Integration geflüchteter Kinder und Jugendlicher. Sie ist nicht nur ein Ort des Lernens, sondern bietet auch Sicherheit, Stabilität, Beziehungs- und Lernmöglichkeiten. Sie schafft neue Perspektiven und die Möglichkeit, in der Gesellschaft Fuss zu fassen.
In der Schweiz hat jedes Kind das Recht, in die Schule zu gehen. Dieses Recht ist in der Bundesverfassung verankert. Im Kanton Gaubünden werden geflüchtete Kinder aber oft über mehrere Jahre in separaten Schulen und Kindergärten in den Asylzentren unterrichtet. Auch in Davos werden die Kinder, welche im Transitzentrum Landhaus Laret wohnen, zu einem grossen Teil separat beschult. Dies widerspricht den grundlegenden UNO-Kinderrechten auf Gleichbehandlung und die Teilnahme am sozialen Leben.
Diese Praxis missachtet zudem die eindeutigen wissenschaftlichen Befunde: Laut Studien ist die Integration in Regelstrukturen auch für den Spracherwerb zental. Kinder lernen schliesslich nicht nur von den Lehrpersonen sondern auch von den ihren Mitschülerinnen. Auf dem Pausenplatz lernen sie ganz nebenbei Deutsch und finden einheimische Freunde. Jahrelange Ausgrenzung und Verweigerung von gesellschaftlicher Teilhabe hingegen sind schädlich für die psychosoziale Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Expertin Bettina Looser führt aus: «Geflüchtete Kinder sind ganz normale Kinder. Damit sie sich gut entwickeln können, brauchen sie wie alle anderen auch die Zugehörigkeit zum echten Leben an dem Ort, an dem sie zuhause sind. Ausgeschlossensein schadet der psychischen Gesundheit und der Lernmotivation.»
Kritik am Bündner System
Das Bündner Beschulungssystem stand deshalb im letzten Jahr auch schweizweit in der Kritik. Dennoch
hat das Kantosparlament Graubünden im Dezember 2019 einen Vorstoss zu Verbesserung der Praxis abgelehnt. Die Integration in die Regelschule bedeute für alle Beteiligten eine grosse Herausforderung, - gerade für Lehrpersonen, Familien und Schulgemeinden. Philipp Wiiheim bedauert den Entscheid des Grossen Rats sehr: «Der Vorstoss hätte verlangt, dass die Integration in die Regelsichule professionell und mit entsprechenden Mittln des Kantons begleitet und unterstützt wird.»
Je früher desto besser
Auch der Verein IG offenes Davos setzt sich dafür ein, dass Flüchtlingskinder möglichst früh in die Regelstrukturen integriert werden. Präsidentin Hannah Thullen erklärt: «Ein früher Übertritt in die Regelschule ermöglicht ein schnelles Ankommen in unserer Kultur. Am besten ist es, wenn die Kinder bereits in der Spielgruppe oder im Kindergarten auf spielerische Weise Deutsch lernen können »
In der ersten Phase des Übertritts sind Lehrpersonen und Freiwillige besonders gefordert. Für einen gelingenden Einstieg braucht es eine gute Kommunikation zwischen den involvierten Institutionen und fachliche Unterstützung.
Leider hat der Kanton dafür keine zusätzlichen finanziellen Mittel bewilligt. Gerade deshalb möchte der Verein IG offenes Davos die engagierten Lehrpersonen, Freiwillige und Familien weiterhin aktiv unterstützen und bietet eine Weiterbildung mit Bettina Looser an, welche den Fachbereich «Bildung und Migration» an der Pädagogischen Hochschule Schaffhausen leitet und bereits viele ausgewiesene Integrationsprojekte entwickelt hat.
Was brauchen geflüchtete Kinder und Jugendliche für eine gelingende schulische Integration?
Die Teilnehmenden des Kurses erhalten einen Überblick über die Lernvoraussetzungen von
Kindern und Jugendlichen mit Fluchterfahrung und die wichtigsten fachlichen Grundlagen zu folgenden Themen:
• Bedürfnisorientierte schulische Integration, Förderung und Begleitung von geflüchteten Kindern und Jugendlichen
• Anhaltspunkte zu Erkennung von Traumata und Ideen für eine traumasensible Unterrichtsgestaltung
• Voraussetzungen konstruktiver Eltern-, Team- und Netzwerkarbeit
• Psychohygiene der Lehrperson in belastenden Situationen
Die Referentin Bettina Looser leitet den Fachbereich «Bildung und Migration» an der Pädagogischen Hochschule Schaffhausen. Sie bildet, berät und coacht seit Jahren Lehrpersonen, Sozialarbeitende und NGO-Mitarbeitende im Bereich Migration, Flucht und Integration.
Mittwoch, 9. September 2020, 14-17.30 Uhr Ev. -ref. Kirchgemeindehaus Davos Platz
Anmeldung bis am 4. September bei Hannah Thullen, [email protected]"
(Pressemitteilung IGoD, August 2020)